Eröffnungsrede für die Ausstellung Simultanea von Peter Bauhuis, Deutsches Goldschmiedehaus, Hanau
26. Februar 2012,

SIMULTANEA
ODER
DIE KUNST DER DOPPELUNG

PRAVU MAZUMDAR

Ich werde im Folgenden natürlich nicht versuchen, über die gesamte und recht umfangreiche Schmuckkunst von Peter Bauhuis zu sprechen. Vielmehr werde ich auf eine Denkfigur hinweisen, die, wie ich meine, an ganz unterschiedlichen Werkgruppen aus seiner bisherigen Arbeit abzulesen sind. In diesem Zusammenhang wird es also darum gehen, dass in diesen Arbeiten ein intellektuelles Verfahren am Werk ist, das den eingesetzten materiellen Techniken nicht nur parallel läuft, sondern zuweilen, wie etwa bei den Simultanea-Gefäßen, von ihnen auch kaum zu unterscheiden ist. Dieses intellektuelle Verfahren, das ich die Kunst der Doppelung nenne, ist der Entstehungsherd jener verspielten Ironie, die so viele dieser Arbeiten auszustrahlen scheinen. Ich beginne mit einigen allgemeinen Bemerkungen.
Dinge sind nicht nur physische Objekte, sondern auch das, was Menschen aus ihnen machen, wenn sie sie wahrnehmen und benutzen. So fern sie also in menschliche Zusammenhänge eingebettet sind, hören sie nicht auf, die physischen Dinge zu sein, die sie von Anbeginn an waren, so dass sie ab dem Augenblick ihrer Entstehung eine doppelte Existenz führen. Sie sind das, was sie sind. Sie sind aber auch das, was sie für die Menschen sind.
Diese Doppelung konkretisiert sich an der Materialität der Dinge, die ebenfalls eine physische und eine pragmatische Ebene aufweist, einerseits also als eine Ansammlung physischer Eigenschaften erscheint, andererseits aber auch als die Eignung zur Erfüllung bestimmter Funktionen. Es handelt sich also um eine anfängliche und vorgegebene Doppelung der Materialität selbst, die am Ausgangspunkt dieser Arbeiten als Quelle jener Ironie dient, die in ganz unterschiedlichen Objekten als ein fortgesetztes Spiel der Doppelungen ausgeführt wird.
Wirft man also einen Blick auf die Exponate dieser Ausstellung, so meldet sich die im Titel angesprochene Simultanität auf mehreren Ebenen. Es handelt sich erstens natürlich um die Simultanität einer Präsentation, die die sukzessiven Werke einzelner Schaffensperioden in der Gleichzeitigkeit einer Zwischenbilanz sichtbar machen soll. Es handelt sich zweitens um die Simultanität so unterschiedlicher Dinge wie visueller Apparaturen, Schmuckobjekte, Gefäße. Drittens handelt es sich um die Simultanität der Doppelgusstechnik, die beispielsweise zur Musterbildung an der Oberfläche der Gefäße führt. Vor allem aber handelt es sich viertens um Simultanität im Sinne der genannten Doppelung von Dinglichkeit und Nützlichkeit, die der Form, der Materialität und der Seinsweise der einzelnen Objekte dieser Ausstellung eingeschrieben ist.
So sind etwa die Sehgeräte aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine Anspielung auf nützliche Verfahren wie Mikroskopie, Endoskopie, Periskopie. Sie haben ihre eigene und eigentümliche Optik und Elektrik und sind dennoch vollkommen nutzlos. Auf der Ebene ihrer technischen Dinglichkeit sind sie also nicht anders als andere technische und optische Vorrichtungen. Sie sind Verknüpfungen materieller Elemente und funktionieren gemäß dem Zweck, der ihnen bei der Konzipierung zugedacht wurde. Doch findet auf der Ebene ihrer Funktion eine Verschiebung statt, da sie nicht dem Nutzen, sondern der Neugierde dienen, die, ebenso wie die Erotik oder der Humor, eine unproduktive Regung ist und dennoch das Leben maßgeblich prägt. Der Witz dieser Geräte besteht gerade in der Pedanterie, mit der sie eine der Funktionen des Schmucks, nämlich die visuelle Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperpartien zu lenken, isolieren und technisch realisieren. So können sie etwa den Blick auf die seltsame und stets wandelbare Innerlichkeit einer Hosentasche lenken, wie das Pantpocket-Peepshow-Gerät aus dem Jahr 1995. Oder sie können eine Hautpartie mit einem Bild ihrer selbst überlagern, wie der Nabelwerfer aus dem Jahr 1999 das Bild des Nabels auf den Nabel selbst zu projizieren vermag.
Auch bestimmte Aspekte der Schmuckobjekte und Gefäße lassen sich von der anfänglichen Doppelung aus Dinglichkeit und Funktionalität herleiten. Ganz allgemein kann man Schmuck als eine ästhetische Modifizierung des menschlichen Körpers betrachten, zugleich aber auch nur für sich als eine behauene, gegossene, zusammengesetzte Materialität. Ebenfalls kann ein Gefäß als bloßes Behältnis funktionieren, zugleich aber auch als ästhetische Modifizierung des Raumes seiner Einbettung. Innerhalb der einzelnen Sphären können dann diese anfänglichen Doppelungen zu wuchern beginnen, indem sie sich zusätzlichen Verfahren künstlerischer Ausbeutung unterziehen und Effekte zeitigen, die eine Mischung aus Unbehagen und Schmunzeln hervorrufen.
Ein Beispiel dafür bietet das „Fusselprojekt“ aus dem Jahr 1997. Es handelt sich um Anstecknadeln aus Gold, die so sehr Fusseln ähneln, dass der Betrachter dazu verleitet wird, sie mit einer ungeduldigen Handbewegung von der Kleidung wischen zu wollen. Dabei realisiert sich die Ähnlichkeit nicht als Annäherung zwischen zwei distinkten Ebenen und Formen, sondern als die Täuschungsmaschinerie einer Doppelung, die Identitäten aufweicht, Differenzen dramatisiert und den Schmuck in ein Theater des Quiproquo verwandelt. Ein anderes Beispiel ist die 1999 entstandene „Perlenkette“ aus Silberkugeln mit dem hellen Schimmer kostbarer Perlen. Hier wird die Materialität des Edelmetalls zur Konstruktion eines perlenartigen Scheins eingesetzt. Der visuelle Eindruck, der von der Kette ausgeht, beruht auf der konstitutiven Doppelung der Materialitäten und changiert zwischen Silber und Perle. Auf ähnliche Weise simulieren die „Neophysalia“-Schmuckstücke aus Kupfer-, Bronze-, Gold- oder Silberlegierungen mit ihren matten und ledernen Oberflächen seltsame Organe seltsamer Lebewesen. Auch hier geht es darum, dass sich Sein und Schein die Waage halten, so dass die Physik des Edelmetalls und die Optik des Organischen sich zu einem neuartigen visuellen Eindruck verbinden können. Die gleiche Tendenz zeigen auch die 2007 entstandenen Ringe, Ketten und Broschen aus der Serie „Freshly modelled“. Hier geht es um eine präzise und auf monatelange Materialforschung zurückgehende Konstruktion des Scheins von Natürlichkeit und Aleatorik. Die handwerkliche Perfektion dieser Konstruktion führt dazu, dass die einzelnen Stücke das Natürliche und das Zufällige geologischer Fundstücke ausstrahlen, so dass sie auf den ersten Blick für Steine gehalten werden können, auch wenn sie auf den zweiten Blick an ihrer Oberfläche die Abdrücke modellierender Finger aufweisen. Damit kommt es zu einer bemerkenswerten Ästhetik der Doppelung von Natürlichem und Künstlichem, die diesen Objekten ihre spezifische Schönheit verleiht. Auch die Gefäße offenbaren eine Doppelung oder „Simultanität“, bedingt durch ein Verfahren des Doppelgusses. Es handelt sich dabei um den Prozess der Ausbreitung und gegenseitigen Interferenz zweier Metallgemische, die am Ende des Herstellungsvorgangs und anhand einer paradoxen Technik der gelenkten Aleatorik die Schönheit der Farbverteilung an der Oberfläche des fertigen Produkts bestimmen.
Man kann also den Witz, die Ironie und, vor allem, die eigentümliche Schönheit dieser Arbeiten auf eine raffinierte Kunst der Doppelungen zurückführen, die Peter Bauhuis über die Jahre zu einem immer subtiler und immer komplexer werdenden Verfahren entwickelt hat. Einen Höhepunkt erreicht dieses Verfahren gewissermaßen in dem Projekt mit dem Titel „Das Galliumhort von Obertraun“, das 2011 in der archäologischen Staatssammlung zu München uraufgeführt wurde. Dieses Projekt führt gewissermaßen eine Kunst der gedoppelten Doppelung vor, die sowohl diesseits als auch jenseits der Schwelle des Schmucks ihren Provokationseffekt zeitigt.
Diesseits der Schwelle, da also, wo der Schmuck als tragbares und getragenes Objekt aus der Bearbeitung eines Materials hervorgeht, wird die Seinsweise des Schmucks von einer physischen Eigenschaft des verwendeten Materials untergraben. Denn Gallium besitzt einen derart niedrigen Schmelzpunkt, dass der Schmuck beim Kontakt mit dem menschlichen Körper zu schmelzen anfängt, so dass er während der Dauer des Tragens in die Schwebe zwischen Form und Nichtform gerät, vielleicht sogar zwischen Schmuck und Nichtschmuck, je nachdem, wie weit man Form und Konturiertheit des Schmuckstücks mit Schmuck als solchem identifiziert.
Jenseits der Schwelle ihrer Konstitution reiht sich der Schmuck in jenen Wirkungszusammenhang aus Artefakten und Verhaltensweisen ein, die im Allgemeinen den Namen „Kultur“ trägt. Auf dieser Ebene wird der Galliumschmuck unseres Zeitgenossen, Peter Bauhuis, in einer Anordnung dargeboten, die diesen Schmuck als einen archäologischen Fund nahe legt und somit einer anderen, nicht mehr existenten Kultur zuordnet. Diese Zuordnung geschah bei der Uraufführung 2011 sicher nicht unabhängig von der Bühne der Präsentation, die in den Räumen der Archäologischen Staatssammlung in München stattfand. Denn die Tradition und wissenschaftliche Seriosität dieses ehrwürdigen Hauses verlieh der Fiktion des „Galliumhorts von Obertraun“ die höheren Weihen des Realen und wissenschaftlich Gesicherten. Damit wurde ermöglicht, dass der Künstler als Kurator
auftreten konnte, um in der Eröffnungsrede festzustellen, dass diese Arbeiten, die ja von ihm selbst stammten, eine starke Affinität mit seinen eigenen Arbeiten hätten. Im Galliumprojekt wird also die Doppelung ihrerseits gedoppelt. Einerseits auf der Ebene des Objekts als Grenzgestalt und Zwischenform zwischen Schmuck und Nichtschmuck. Andererseits auf der Ebene des Subjekts als die Doppelung einer Autorschaft, die abwechselnd der realen, modernen Individualität eines zeitgenössischen Künstlers und der fiktiven, vormodernen Kollektivität einer verschollenen Kultur zugeschrieben wird.
Das jüngste Beispiel von Peter Bauhuis’ Kunst der Doppelung ist das eben erschienene Abecedarium, in dem das Werk eines Künstlers in der Form eines lexikonartig gegliederten Wissensgebietes dargestellt wird, worin die Instanzen Autorschaft und Wissenschaft bis zur Ununterscheidbarkeit zusammengeführt werden.

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