FRESHLY MODELLED

Monica Gaspar

ABECEDARIUM 2012

Körperblicke und Sehdinge


Sie könnten wegsehen und sagen: "Das geht mich nichts an." Sie könnten die Läden schließen. Aber nein, das tun sie nicht, sie schauen hin solange wie möglich.

Alfred Hitchcock


I. Wenn Norman Bates das Bild zur Seite geschoben hat und durch jenes kleine Loch späht, das er in eine Zwischenwand seines Motels gebohrt hat, rückt Marion der Tod auf den Leib. Dem voyeuristischen Blick folgen später die Messerstiche. Erinnern wir uns auch an den Fotoreporter aus Rear Window. Hier sind die Rollen vertauscht. Der Voyeur wird den Mord aufdecken, der in einer Wohnung auf der anderen Seite des Hinterhofs begangen wurde. Ein langes, phallisches Teleobjektiv ist sein optischer Kanal. Je länger er hindurch schaut, je mehr er sieht, je besser er kombiniert, je näher er der Wahrheit kommt, umso virulenter wird sein Beobachtungsposten. Wegen eines Beinbruchs kann er ihn nicht verlassen. Sein Leben gerät in Gefahr.

Das Sehen, das Alfred Hitchcock in seinen Filmen inszeniert hat, wird von Neugierde und Begierde, von Verdrängung und Angst angetrieben. Der Sehende sieht Inkognito. Sein Ort ist die Kabine einer Reality-Peepshow (Psycho) oder der Logenplatz in einem Theater des Alltags (Rear Window). Für Norman Bates wird die durchbohrte Wand zum Medium, das ihm ein isoliertes Bild der Frau liefert - im schwarzen BH. Der verbotene Blick dagegen scheint selbst körperlos, reduziert auf ein Auge. Hitchcock hat nicht darauf verzichtet, es dem Zuschauer im Gegenschuss aus Marions Motelzimmer zu zeigen: Norman Bates Auge im Kreis des Lochs. In Rear Window löst sich die Häuserfront gegenüber auf in einzelne Bilder, die durch den Blick des Beobachters verbunden werden und schließlich wie Teile eines Puzzles ineinander greifen.

Die Anordnung des Sehens, um die es hier geht, verbindet, überbrückt und transformiert Räume. Sie gründet auf Trennung und Distanz. So nah das Medium, sei es Loch oder Objektiv, den anderen, getrennten Raum heranholt, das Bild, das es hervorbringt, ist ein Bild des Getrennten, Entfernten oder Gespaltenen. Was der Beobachter sieht, wird flach, es splittet sich auf in Bilder und Zeichen. Der Raum, in dem er sich selbst befindet, tritt dabei ins Schattenhafte zurück. Hier und Dort erfüllen sich in ihrer optischen Relation, gleichsam als Koordinaten auf einer Sichtachse.

II. Die optische Installation von Peter Bauhuis in der Münchner Akademie ist unscheinbar. Ihr Äußeres wirkt rein funktional. Ein schwarzer Ring aus Gummi wölbt sich leicht von der Wand ab. Er gleicht einem Türspion, und als solcher weckt er Assoziationen an Situationen der Überwachung, wie sie Hitchcocks Filme schwarzhumorig und hintersinnig auskosten. Was die Durchbohrung der achtzig Zentimeter dicken Wand dem Blick dann jedoch bietet, ist völlig unspektakulär. Ein Stück Straße erscheint in ihrem Rund, ein Baum. Vielleicht läuft jemand über den Gehsteig. Auch möglich, dass ein Auto vorbei fährt. Dass etwas Ungewöhnliches geschehen könnte, in diesem kleinen Ausschnitt und just in diesem Moment, ist höchst unwahrscheinlich. Es gibt nichts zu spionieren und nur wenig zu sehen. Das Bild der Straße schlägt uns nicht in den Bann. Der Blick wird sich ohne weiteres lösen.
Stattdessen beschäftigt uns der Weg, den der Blick zurücklegt, der Raum, den er durchmisst. Nahezu zwangsläufig richtet sich die Aufmerksamkeit auf den eigenen Standort, auf jenen schmalen Flur der Goldschmiede-Klasse im ersten Zwischengschoß der Akademie. Denn die Wand, in der sich das optisch verstärkte Guckloch befindet, kann keine Außenwand sein. Es braucht einen Moment, bis man realisiert, dass der Blick in einen überwölbten Gang fällt, durch deren große Bogenfenster er nach außen dringt. Die merkwürdigen architektonischen Dimensionen werden jetzt transparent: dass die Enge hier oben in großem Gegensatz steht zur Weite und Höhe des Wandelganges hinter der Wand. Womöglich ruft der Ausblick die Vorstellung hervor, man befände sich auf einer Art Galerie: in jedem Fall aber setzt er einen klärenden, optischen Schnitt in das Gebäude.

Bauhuis hat das Loch so positioniert, dass es auf der anderen Seite der Wand mittig in einer Gewölbekappe sitzt. Der Benutzer oben im Flur beugt sich der Ortsbezogenheit der optischen Setzung im wörtlichen Sinne. Die unbequeme Haltung, die er einnehmen muss, um hindurch zu sehen - irgendwie zwischen stehen und knien - läßt es nicht zu, im Sehakt vom eigenen Körper zu abstrahieren. Nicht das hierauf in einem didaktischen Sinne abgezielt würde, vielmehr folgt aus dem Architekturbezug notwendig der Körperbezug. Auf diese einleuchtend einfache Weise rückt die optische Vorrichtung vom Motiv ab, um die Sichtbedingungen einzeln aufzugliedern und umso deutlicher hervortreten zu lassen.

Der Relation von materiellem Gehäuse, körperlicher Präsenz und Sehakt spürt Bauhuis auch in Arbeiten nach, die noch als Goldschmiedekunst zu erkennen sind. Es handelt sich um zumeist rundliche, in Gold oder Silber getriebene Dinge. Ihre Oberflächen sind einfach und roh, mitunter nahezu unförmig. Körperlich und schwer liegen sie in Händen. Erinnert die Akademieinstallation, wie gesagt, äußerlich an einen Türspion, so folgen diese Stücke dem Prinzip des Guckies, das, wie man es wohl aus seiner Kindheit noch kennt, im Inneren Bilder bereit hält, und manchmal faszinierende Welten. Neben Arbeiten, in deren geschlossenem Inneren sich Bilder und Räume auftun, gibt es auch solche, die den Blick wiederum nach außen lenken, beziehungsweise, in einen anderen Innenraum: in die Hosentasche von jemandem oder sogar in die Mulde eines Bauchnabels.

So erzeugt Peter Bauhuis dann doch Bilder vom Körper. Deutlich überschreitet der Hosentaschenbeleuchter jegliche Diskretionslinie. Der Bauchnabelbetrachter will offenbar noch weiter, hinein, vielleicht zum Ursprung. Er ist einem Saugnapf nachempfunden. Der Hosentaschenbeleuchter hat eine beutelartige Form, die sich der Rundung einer gewöhnlichen Hosentasche anpasst. Offensichtlich berichten diese Sehdinge von der Vorliebe des Schmuckkünstlers für Dinge und Orte am Körper - für Hosentaschengalerien und Bauchnabelskulpturen. Der optische Angriff auf die Intimsphäre wird dabei umgedeutet zum heiter ironischen Spiel.

Thomas Janzen

alle Texte